Nackter Stahl hat Prometheus Games verklagt (Stellungnahmen von Prometheus Games und Nackter Stahl, Diskussionen dazu im Tanelorn, bei den Blutschwertern und im ORK). Ich habe mich bis jetzt aus der Diskussion rausgehalten. Obwohl die Prozessunterlagen im Netz stehen, weiß ich zu wenig, um mir ein Urteil erlauben zu können, das substantieller wäre als ein billiges Vorurteil. Ich will eigentlich auch gar nicht mehr wissen, obwohl ich zugeben muss, dass auch in mir - wie wohl in jedem von uns - das voyeuristische Interesse schlummert, eine Schlammschlacht zu beobachten. Doch davon soll der heutige Beitrag nicht handeln. Ich bin über einen Randaspekt gestolpert, der mir zu denken gibt: Der Frage, was ein Rollenspielregelwerk, insbesondere die Settingbeschreibung, wert ist.
Ich zitiere aus dem Hinweisbeschluss des Gerichts (LG Köln, 280 O 180/08, Link siehe oben unter Prometheus Games):
"Zudem dürfte die Übernahme einer schutzfähigen Kerngeschichte bzw. schutzfähiger Charaktere eine Urheberrechtsverletzung nach § 23 UrhG darstellen. Nach Auffassung der Kammer hat die Klägerin bisher hinsichtlich keiner der [i]n Betracht kommenden Verletzungsmöglichkeiten hinreichend vorgetragen. Zudem bestehen nach dem bisherigen Vortrag insgesamt Bedenken, dass den Büchern der Klägerin überhaupt ein schutzfähiger Plot zugrunde liegt. Die bisherige Darstellung lässt vielmehr den Schluss zu, dass es sich bei den für eine Übernahme in Betracht kommenden Handlungselementen um Allgemeingut handeln dürfte."
Kurz gesagt interpretiere ich als juristischer Laie(!) diese zwei Sätze folgendermaßen: Das Werk erreicht nicht die nötige Schöpfungshöhe, da Plot und Charaktere fehlen bzw. nicht schutzfähig sind. Der Hofrat hat diesen Abschnitt kommentiert mit: "Und Rollenspiele können sie auch rezensieren...". Aber ich befürchte, dass hiermit nicht konkret Arcane Codex gemeint ist, welches ich zugegebenermaßen nicht kenne. Ich wage zu behaupten, dass selbst herausragende Settings wie "Artesia" in den Augen des Gerichtes nicht als schutzwürdig befunden würden. Dass der Hinweisbeschluss Settingbeschreibungen prinzipiell nicht als schutzfähig anerkennt. Und das stößt mir sauer auf.
Natürlich ist es fraglich, inwiefern man einer Settingbeschreibung (und auf diese konzentriere ich mich und lasse die Regelmechanismen außen vor) Plot und Charaktere zuordnen kann. Aber hier muss man m.E. den Plotbegriff ausweiten: Das Konzept verschiedener Völker, deren Geschichte und geographische Verortung müsste in meinen Augen im Sinne des Schutzgegenstandes des Gesetzes als Plot ausgelegt werden, da die individuelle kreative Leistung zumindest im Allgemeinen als ähnlich erachtet werden kann. Ebenso sollten historische Figuren und NSC selbstverständlich als schutzfähige Charaktere behandelt werden.
Ob sich bei entsprechender Auslegung dann dennoch "nur" um Allgemeingut handelt? Unsere Geschichten wiederholen sich. Beowulf hat schon tausendmal unter anderem Namen und in anderen Zeiten Grendel bekämpft. Romeo und Julia sind ebenso oft in Liebe geschieden. Luke Skywalker und Frodo treten beide die Heldenreise nach Joseph Campbell an. Die Charaktere unserer Bücher und Filme sind Ausgestaltungen von Archetypen, die schon den griechischen Göttern zugrundelagen (dazu übrigens in einem späteren Beitrag über NSC-Konzepte mehr). Gute Werke sind sich dessen bewusst und spielen damit, jonglieren mit den Handlungselementen und ordnen sie erfrischend neu an. Schlechte Werke bleiben ihnen sklavisch verhaftet. Fiktive Werke bestehen nunmal aus "Allgemeingut", die von der entscheidenden Prise Kreativität zusammengehalten werden. Die geballte Last des narrativen Erbes der Menschheit ist in jedem fiktiven Werk omnipräsent.
Trotzdem ist all das wert, geschützt zu werden, da es in einer konkreten Ausgestaltung vorliegt (Hiermit meine nicht die wörtliche Formulierung, sondern das konkrete Konzept im Sinne einer Bearbeitung nach § 23 UrhG). Selbst der billigste Nackenbeißerroman wird als schützenswert anerkannt, selbst das banalste Landser-Heftchen. Dann sollte auch ein Setting prinzipiell schutzfähig sein! Selbst wenn die realhistorischen und -ethnologischen Ideenfundgruben den Leser geradezu anspringen, selbst wenn die Charaktere platt und plakativ wirken. Die kreative Leistung muss mit dem gleichen Maß wie bei Romanen gemessen werden.
Zuletzt muss ich noch einen deutlichen Disclaimer setzen, damit kein falscher Eindruck entsteht: Hier geht es mir allein um den ideellen Wert der kreativen Leistung, die hinter einem Werk steckt und sich in seiner Schutzfähigkeit zeigt. Mir geht es nicht(!) um den konkreten Fall NaSta gg. PG - hier habe ich anhand des veröffentlichten Materials nicht den Eindruck, dass Elyrion sich an der konkreten Ausgestaltung von AC bedient hat - Vielmehr haben die Macher m.E. wirklich nur Allgemeinplätze aufgegriffen. Mir geht es auch nicht darum, dass Klagewellen in der Rollenspielverlagswelt rollen sollten, Gott bewahre! Mir geht es allein darum, dass der literarische Wert von Rollenspielsettings im Allgemeinen mit jenem anderer Formen von Schriftwerken als gleichberechtigt anerkannt wird.
Ich bin noch nicht einmal Freizeitjurist. Daher nehme ich juristische Korrekturen gerne & dankend an. Aber mein heutiger Artikel sollte auch kein juristisches Traktat werden, sondern einfach ein kurzes Grübeln über den Wert von Settingbeschreibungen.
Es grüßt
Grimnir