Tolkiens Moria ist eine Offenbarung für Dungeonbauer. Eine verlassene Zwergenmine wahrhaft epischen Ausmaßes, die bruchstückhaften Erinnerungen an das Unheil, das sie heimsuchte, das ständige Gefühl der Bedrohung durch das Trommeln in der Tiefe, heftige Gefechte mit Orks, Trollen, dem Balrog... herrlich! Zwergenfestungen, -minen oder -städte wie Moria bieten sich aus mehreren guten Gründen als Dungeons an:
- Plausibilität: In manchen Publikationen bekannter deutscher Rollenspiele werden die vielfältigen Spielmöglichkeiten von klassischen Dungeons immer mit der Plausibilitätskeule zertrümmert. Denn mal im Ernst: Wie kann man sich die Existenz ausufernder unterirdischer Gewölbe erklären? Welcher Bösewicht würde sich die Arbeit machen, ein komplexes Höhlensystem auszuschürfen? Für eine High-Fantasy-Kampagne mit D&D ist mir diese Form der Plausibilität herzlich egal, aber wem sie dennoch am Herzen liegt, findet in Zwergenfestungen eine (im Rahmen der Spielweltaxiome - Es gibt Zwerge) nachvollziehbare Möglichkeit, einen zünftigen Dungeon einzubauen.
- Variation: Grabmal bleibt Grabmal, natürliche Höhle bleibt natürliche Höhle. Anders jedoch die Zwergenfeste: Auf jeder Ebene kann lassen sich leicht Art und Stil des Dungeons ändern. Man kämpft sich durch Wohnebenen und Pilzfarmen, steigt hinab in die Minen und die Gruft der Hochkönige, um schließlich zu den dunklen Kavernen zu gelangen, aus denen das Böse einst in die prosperierende Stadt kroch.
- Historische Exploration: Es bietet sich die hervorragende Möglichkeit, bruchstückhaft die Geschichte der Zwergenmine zu rekonstruieren. Man sollte natürlich darauf achten, dies nur bei Spielern zu tun, bei denen die Exploration im Vordergrund steht. Hier eine Inschrift, da ein alter Tagebucheintrag, dort der Nachfahre eines Überlebenden, der seine Heimat nicht verlassen wollte. Vom kargen Beginn über die glanzvolle Hochzeit bis zum erschütternden Ende können die Spieler in die tragische Geschichte des Zwergenkönigreiches eintauchen. Balins Aufzeichnungen in Moria lassen grüßen.
- Verfügbarkeit: Wer wissen will, wo man kostenlos die Pläne von mehreren tausend Zwergenfestungen finden kann...
...der lese den zweiten Teil meines heutigen Beitrags.
Schon seit Jahren macht ein grafisch minimalistisches Freeware-Spiel im Netz von sich reden: Dwarf Fortress. Wer sich von ASCII-Kunst und umständlicher Benutzerführung nicht abschrecken lässt, wird mit einem wahren Schmankerl an Aufbaustrategie belohnt: Dwarf Fortess ist ein hochkomplexes Sandboxspiel, bei dem man im Sim-City-Prinzip eine Zwergenfestung bauen kann, dabei aber auf Wünsche und Befindlichkeiten seiner Sims aka Zwerge achten muss. Faszinierend ist dabei die unglaubliche Komplexität des Spiels: Umfangreiche Ressourcenkreisläufe, augeklügelte Bewässerungssysteme für unterirdische Pilzfarmen, ein Geflecht aus Fallen und Verteidigungsanlagen gegen Goblineinfälle, mehrere Wirtschaftssysteme und die Regulierung von Lavaströmen sind nur einige der mannigfaltigen Features des Spiels und der Aufgaben, die den Zwergenfürsten erwarten. Das inoffizielle Motto des Spiels lautet "Losing ist fun" - die Vernichtung der Festung durch Goblineinfälle, Hungersnöte, Wassereinbrüche, Magmakatastrophen, Seuchen, Deckeneinbrüche oder das unsagbare Grauen aus der Tiefe ist nur eine Frage der Zeit. Gute Spieler können das Ende herauszögern, aber es nie verhindern, wie beispielhaft die Geschichte der Zwergenfestung "Boatmurdered" zeigt.
Was hat das mit Papier-und-Bleistift-Rollenspiel zu tun? Ganz einfach: Die Karten von hunderten, von tausenden Zwergenfestungen gibt es hier online. In diesem Wiki findet man die passenden Legenden, um die doch teils kryptischen Symbole der Karten zu entschlüsseln. Fertig ist die perfekte Vorlage für die verlassene Zwergenstadt in der eigenen Kampagne. Selbstverständlich muss man noch für die Füllung derselben mit spannenden Begegnungen, Rätseln und NSC sorgen - immerhin ist das der wichtigste Arbeitsschritt beim Dungeonbau, wichtiger als die Topographie. Aber hat man für letztere schonmal eine Vorlage, bleibt fürs erstere mehr kostbare Vorbereitungszeit.
Der Vorteil einer solchen Karte ist gleichzeitig ihr Nachteil: Ihre Topographie ist nicht beliebig, sondern ebenfalls plausibel. Kanäle, Gänge, Säle sind dort, wo sie aus Gründen des Sachzwanges liegen würden, Goblinfallen dort, wo Goblineinfälle zu erwarten sind, und Rohstofflager dort, wo man sie gebrauchen kann, also nahe der Werkstätten - denn die Zwergenfestung entstammt einer Simulation, und die Erbauer mussten mit den gleichen Problemen wie eine "echte" Zwergengemeinschaft kämpfen. So weit, so gut. Das heißt aber auch, dass die Festung in ihrer Ursprungsform nicht den Erfordernissen einer Dungeonerkundung, d.h. narrativen und spielerischen Anforderungen angepasst wurde: Redundante Räumlichkeiten beispielsweise können Spieler langweilen - wer will schon die Schlafräume von 200 Zwergen durchsuchen?
Trotz dieser Nachteile lohnt sich ein Stöbern im Kartenarchiv. Wenn jemand mir jetzt noch den Hinweis geben kann, wie man die Flash-Dateien in Bilddateien zurückkonvertieren kann, wäre ich maßlos glücklich.
Zuletzt noch zwei Impressionen von einigen Räumlichkeiten, die erste mit ASCII-Tileset, die zweite mit einer etwas(!) verbesserten Grafik:
Es grüßt
Grimnir