Nicht alles, was für Buch und Film gut ist, passt auch für ein Rollenspiel. Das betrifft insbesondere das Setting, den Hintergrund. Ein Rollenspiel ist nunmal ein anderes Medium. Sei es ein dystopischer SF-Hintergrund oder eine Fantasywelt ? für Rollenspiele sind andere Dinge zu beachten als beim literarischen Weltenbau. In diesem Beitrag will ich daher keine Hinweise zum allgemeinen Settingdesign geben. Dazu findet man genug im Netz. Ich will darüber schreiben, was für Spezifiken ein Rollenspielsetting haben sollte.
1. Achte darauf, dass das Setting das Thema des Rollenspiels umsetzt!Ein Fantasysetting ist nicht gleich Fantasysetting. Bei D&D steige ich in Dungeons hinab und jage Monster. Bei Reign führe ich Gruppen und Königreiche gegeneinander. Also muss bei beiden der Schwerpunkt des Settings unterschiedlich sein: Ich brauche für eine D&D-Welt eine glanzvolle alte Zeit, die längst vergangen ist und deren Vermächtnis sich in verstreut liegenden Grabmälern und Ruinen zeigt. Ich brauche eine Wildnis, weit und einsam genug, um all den Monstern und Gefahren Raum zu bieten, mit denen die Abenteurer konfrontiert werden sollen. Ich brauche aber auch Zentren der Zivilisation, zur Heilung und zum Kauf magischer Gegenstände.
Ganz anders bei einer Hintergrundwelt für
Reign von Greg Stolze. Reign ist ein Spiel um Herrschaft, Macht und Einfluss verschiedenster Gruppen. Ich brauche ein dichtes Netz aller möglichen Gruppierungen, ohne große Machtvakua, ein gefährdetes Netz des Gleichgewichts, in der kleine Handlungen große Folgen haben können. Eine stark zivilisierte Welt eignet sich hierfür hervorragend.
Selbstverständlich sind in diesem Beispiel beide Konzepte innerhalb einer Spielwelt miteinander vereinbar, beispielsweise mit einem stark intriganten Imperium im Süden des Kontinents und alten, verlassenen, wilden Ebenen im eisigen Norden. Das ändert jedoch nichts daran, dass ich gezielt das Thema des oder der Rollenspiele im Auge behalten muss, wenn ich das Setting erschaffe.
2. Achte auf Fluff- und Crunchplausibilität, und entscheide Dich für das richtige Maß!
Dazu habe ich
hier schon alles geschrieben.
3. Achte immer auf die Spielbarkeit!Es bringt nichts, wunderbar ausdifferenzierte und plausible Kulturen, Rassen, Clans etc. zu erstellen, wenn sie nicht gespielt werden können. Eine Kultur, in der in keinster Weise Abenteurer und Vaganten erwünscht sind, bietet sich nicht für D&D an. Eine Kultur, die sich über die Jahrtausende zu einer Schwarmgesellschaft entwickelt hat, kann keinen Aufhänger für einen individuell handelnden Charakter bieten (außer, das Thema des Spiels ist, aus einer derartigen Kultur auszubrechen). Spätestens dann, wenn ein Spieler einen Vertreter solch einer Kultur spielen will, rauchen entweder die Köpfe, um den Charakter plausibel zu gestalten, oder der Spielleiter muss zur unbefriedigendsten Antwort sämtlichen Spielleitertums greifen: ?Nee du, das geht nicht!?. Daher sollte jede Kultur, jeder Clan so angelegt sein, dass genügend Konzepte für spielbare Charaktere existieren müssen.
Greg Stolze geht bei Reign den richtigen Weg: Zu jeder Kultur werden Charakterkonzepte vorgestellt, z.B. der letzte Überlebende der Night Hunters für die Truil oder die imperiale Kurtisane. Dadurch wird sichergestellt, dass es in jeder Kultur spielbare Charaktere gibt.
Ein weiteres Beispiel sind die Oraniden in
TSoY. Dieses Reitervolk hat genau festgelegte Geschlechterrollen: Die Männer leben in der Steppe, die Frauen in den Städten. Das heißt auf den ersten Blick: Wenn ich als Spieler einen Reiter spielen will, muss ich einen männlichen Charakter spielen. Das Problem wird jedoch wunderbar gelöst: Zur Zeit ihrer Initiation können sich Jungen wie Mädchen das gewünschte Geschlecht (und damit das gewünschte Lebensumfeld: Stadt oder Steppe) aussuchen. Ein weiblicher Reiter ist damit problemlos möglich.
4. Biete Hilfsmittel für die Immersion!Dazu gehören schon passende Namenslisten, (arche-)typische Zitate, übliche Brauchtümer und Eigenheiten, die während des Spiels der Immersion dienen können - wie beispielsweise die Beschreibung von kulturtypischer Küche und Kleidung in Reign. Aus diesem Fundus können Spieler schöpfen, um ihren Charakteren die Farbe zu verleihen, mit der sie leichter in die Fiktion eintauchen können. Achte dabei darauf, dass du die Kulturen pointiert beschreibst! Verliere dich nicht im tiefen, dutzende Seiten langen Beschreibung mit dem Ziel, die Kultur umfassend und lückenlos darzustellen ? das liest niemand! Beschränke dich auf das Wesentliche ? und das Wesentliche ist das, was der Spieler im Spiel einbringen kann.
5. Differenziere deutlich!Was ist der Unterschied zwischen Franzosen und Deutschen? Der Franzose liebt Rotwein, trägt ein Barett auf dem Kopf und ein Baguette unter dem Arm, der Deutsche trägt Lederhose und führt Weltkriege. Zu klischeehaft und stereotyp? Vielleicht, aber die wahren Unterschiede sind derart minimal und versteckt, dass sie nur mit viel Mühe im Rahmen eines Rollenspiels an die wahrnehmbare Oberfläche treiben. Kulturen, Clans, Rassen brauchen griffige Unterscheidungsmerkmale! Einen Aquilonier und einen Cimmerier kann man auf den ersten Blick unterscheiden, einen Brujah von einem Ventrue ebenfalls. Wenn Du zwei Kulturen, Konzerne, Völker etc. nicht mit einem Satz deutlich unterscheiden kannst, streiche eine. Das gilt zwar grundsätzlich für den Weltenbau jeglicher Couleur, aber umso mehr für Rollenspiele. Kleine Unterschiede kann ich im Film optisch zeigen (Kostüme), im Roman seitenweise ausführlich darlegen - im Rollenspiel ist es ungleich schwerer. Da muss ich mich auf das Wesentliche konzentrieren.
6. Wenn Du einen Metaplot benutzt, mache ihn zum Plot!Hier habe ich mich über dieses Thema ausgelassen. Ein Metaplot kann problematisch sein, wenn die Spieler keinen Einfluss darauf haben und wenn er an den Wünschen der Spieler vorbei geht. Mach den Metaplot stattdessen zum Plot, und lass die Charaktere die Protagonisten sein! Akzeptiere, dass du deinen Einfluss auf den Plot mit den Spielern teilen musst und dass die Handlungen ihrer Charaktere das Gewicht haben, die Welt zu ändern.
7. Vermittle Settinginformation und Farbe im Spiel, nicht außerhalb!Das heißt nicht, dass Du interessierten Spielern keine Ausarbeitungen von Kulturen, Göttern etc. vorlegen sollst - gerade für die Charaktererstellung kann das außerordentlich wichtig sein. Aber alles, was Du in Deinem Setting für wichtig erachtest, sollte redundant im Spiel selbst vorkommen. Nichts anderem dient das hartwurstige "Phex zum Gruße!" bei DSA: Die Götterwelt greifbar und erfahrbar zu machen. Wenn du darauf achtest, findest du überall mögliche Anknüpfungspunkte für Geschichte, Kulturen, Religionen, kurz die Farbe deines Settings: Wieso einem Straßenräuber eine einfache Narbe als Erkennungsmerkmal geben? Sind die rituellen Initationsnarben des Bormisorkultes nicht ein viel farbenfroherer Weg, der zudem noch etwas über deine Welt vermittelt? Wichtig hierbei ist Redundanz. Wenn der Spieler ein magisches Schwert +1 mit der Aufschrift "Cardigars Stolz" trägt, denkt er sich vielleicht noch nicht viel dabei. Findet er aber später das Grabmal König Cardigars, lernt dann König Cardigar II. kennen, dann eröffnet sich ihm allmählich das Gesamtbild einer ausgearbeiteten und geschlossenen Geschichte des Settings.
Für Anregungen, Zusätze und Kritik jederzeit offen verbleibt Euer
Grimnir