Mittwoch, 5. März 2008
Gary Gygax, der Erfinder von D&D und damit des Rollenspiels, starb gestern im Alter von 69 Jahren in seinem Haus in Lake Geneva, Wisconsin.
Ohne ihn würde ich vermutlich Briefmarken sammeln, Tauben züchten oder Kassenwart eines Dackelvereins sein. Er hat das schönste und kreativste Hobby dieser Welt geschaffen.
Man muss nicht sein D&D der ersten Edition spielen, um zu erkennen, was er geschaffen hat. Sein Geist und seine Ideen finden sich in Runequest und Shadowrun, in DSA und MERS, in Indie-Werken und World of Warcraft. Er ist das mittlere Glied einer langen Kette. Er ist der Grundstein, auf dem das Gebäude ruht.
Danke, Gary, und gute Reise!
Grimnir
Montag, 3. März 2008
Das Setting - für die meisten wichtiger als das Regelwerk eines Rollenspiels (so ergab es zumindest die Umfrage von Blut-und-Glas bei den Blutschwertern). Dem wird nun auch im Tanelorn-Forum mit einer künftigen Setting-Challenge Rechnung getragen. Da verwundert es nicht, dass die deutsche Blogosphäre sich ebenfalls des Themas annimmt: Vermi ruft zu neuen, unverbrauchten Settings auf, und Alexandro gibt Tipps zum Umgang mit möglicher Lückenhaftigkeit desselben. Grund genug, um meinen leider über das Semester eingeschlafenen Blog wieder ins Leben zu rufen und ein Thema aufzugreifen, an dem sich die Geister scheiden: den Metaplot. Zunächst mal einige feine Definitionen:
The metaplot is the overarching storyline that binds together events in a role-playing game. Major story events that change the world, or simply move important non-player characters from one place to another, are part of the metaplot for a game (Aus der Wikipedia)
A metaplot is a plot that is more important than other plots. A metaplot is a grand, over-reaching plot that affects and controls all other plots. A metaplot is the master of all subservient plots (Blog von Blacklight Productions).
Mit Metaplot bezeichnet man die fortlaufende, planvolle Veränderung einer Spielwelt in mehreren Schritten (üblicherweise durch den Verlag), die aber den Kunden (meist) nur nach und nach enthüllt wird (RPG-Info).
Ein Metaplot ist eine zielgerichtete Rahmenhandlung in einem Setting, die im Extremfall große Veränderungen in der Spielwelt hervorruft und deren grundlegende Konzepte neu definiert (Greywood Designer Blog).
A metaplot is an ongoing story taking place in a game world, told in installments via the supplements provided for a particular RPG (RPG-Net-Wiki). Ein Metaplot hat also folgende Merkmale, wobei nicht alle zutreffen müssen: - Er stellt eine Rahmenhandlung für eine Spielwelt dar
- Er steht über den anderen Plots und kontrolliert diese
- Er verändert die Spielwelt
- Er wird nur Stück für Stück dargelegt
- Er wird mit Hilfe von Supplements fortgeführt
Den letzten Punkt kann ich nicht unkommentiert lassen: Außer Supplements kann man natürlich auch noch Romane und Postillen wie den Aventurischen Boten dazuzählen. Faszinierend ist allerdings, dass in keiner Definition auf die Spieler eingegangen wird: Selbstverständlich sollte er vor allem durch Abenteuer fortgeführt werden (z.B. die zurecht harsch kritisierte G7-Kampagne). Wird das stillschweigend vorausgesetzt? Wird das - unpassend - unter dem Punkt "Supplements" subsumiert? Oder liegt genau darin ein inhärentes Problem des Metaplots, nämlich dass die Abenteuer nur sekundär sind, die ihn beschreibenden Supplements aber primär? Dazu später mehr... Das soll der Begriffsklärung Genüge tun. Mich interessiert vielmehr die Frage, wieso die einen ihn lieben, die anderen ihn hassen. Die Vorteile der Verwendung von Metaplots liegen auf der Hand:
- Er lässt die Spielwelt lebendig erscheinen. Die Spieler haben das Gefühl, in eine wirkliche, vorstellbare Welt einzutauchen und nicht in kalte Sterilität. Das kann für die Immersion von äußerster Wichtigkeit sein. Allerdings: Braucht man dafür einen Metaplot? Man kann auf einem weit subtileren Weg das Gefühl von Lebendigkeit und einer aktiven Geschichte der Welt erzeugen: Zufallsbegegnungen (Flüchtlinge, die vor dem großen Krieg der Königreiche Nowhere und Somewhere fliehen), Nebenplots (die Suche nach dem Abenteuer-McGuffin führt durch eine durch diesen Krieg zerstörte Landschaft), und subtilen Andeutungen seitens der NSC ("Bitte rettet meine Tochter, sie ist mein einziges Kind - seit mein Sohn in der Armee von Nowhere gedient hat und gefallen ist").
- Er kann eine spannende, mitreißende und epische Geschichte bieten. Ich habe nie "Legend of the Five Rings" gespielt, aber am Ende der Clan-War-Storyline müssen Spieler wie Designer sich heulend auf dem Boden der GenCon gewälzt haben (sagt zumindest John Wick). Allerdings: Mit kreativen, einfühlsamen Spielern und dem richtigen SL kann die stinknormale Prinzessinnenrettung einen ähnlichen emotionalen Effekt erzeugen. Außerdem kann eine Kampagne durchaus episch sein, ohne an den Fundamenten des Settings zu rütteln, will heißen: ohne ein Metaplot zu sein.
Allerdings bringen Metaplots auch eine ganze Wagenladung an Problemen mit sich: - Das erste Problem des Metaplots ist die schon genannte Änderung des Settings, manchmal beendet der Metaplot sogar das Setting nach seiner Erfüllung (Gehenna der oWoD). Diese Änderung vernichtet jede Verlässlichkeit der Spielweltinformationen: Schon nach einiger Ingame-Zeit sind sie womöglich überholt. Das kann man auch dann nicht ignorieren, wenn man den Metaplot links liegen lässt und nach eigener Kampagnenzeit spielt, denn dadurch entfernt sich das eigene Kampagnenuniversum sich vom offiziellen Kanon (Butterfly Effect). Hat das am Anfang noch kleinere Auswirkungen, die durch spontanes Eingreifen des Spielleiters behoben werden können, kann das langfristig ein Rattenschwanz an Abweichungen nach sich ziehen. Die werden dann problematisch, wenn man doch irgendwann einmal Folgepublikationen benötigt, z.B. bei einer neuen Edition des Rollenspiels (D&D 3.5 auf 4). Diese sind dann ohne großen Modifizierungsaufwand nicht mehr zu nutzen. Außerdem verliert sich die einheitliche thematische Grundlage im Gespräch mit Dritten, die nicht zur Gruppe gehören, aber im selben Setting spielen. Man entfernt sich von der settingspezifischen Community.
- Wenn der Metaplot nur häppchenweise präsentiert wird, bedeutet das einen Informationsmangel für den Spielleiter. Man mag über Sinn und Unsinn streiten, ob die Spieler den Metaplot kennen sollten oder nicht - aber der Spielleiter, der eine offizielle Metaplotkampagne leitet, sollte am Anfang der Kampagne alle Entwicklungen vorausahnen können, um, je nach Stil, an der richtigen Stelle railroaden oder Bass spielen zu können. Ansonsten besteht die Gefahr, in eine narrative Sackgasse zu geraten, aus der man sich unter Umständen nur mit sehr viel Mühe hinauswinden kann. Schon bei einem einfachen Abenteuer graust es einen, wenn der verkappte Romanautor, der es geschrieben hat, bei den Spielleiterinformationen(!) einen Spannungsbogen aufzubauen versucht.
- Spielt man nach dem Metaplot, muss der Spieler sich damit abfinden, dass sein SC nicht der coole Arschtreter ist, sondern nur Handlangerdienste für wichtige NSC versieht. Denn die NSC gestalten dann die Handlungen, diese sind die Intriganten, Könige und Götter, um deren Schicksal sich die Welt dreht. Das liegt daran, dass der Metaplot eine Geschichte erzählt, und eine Geschichte mit offenen Protagonistenstellen ist undenkbar. Offen müssen diese Protagonistenkonzeptionen deshalb bleiben, weil die Autoren der Metaplotabenteuer nicht mit den unbekannten Charakteren der vielen heimischen Spielrunden planen können. Diese Entkonkretisierung drückt aus narrativen Zwängen heraus die SC in reine Statistenrollen.
- Viertens und zuvörderst führen Metaplotabenteuer immer zu Railroading. Die großen Geschicke der Welt lassen - wieder aus narrativen Zwängen - nur ein Ergebnis der Kampagne zu: Das Abenteuer wird geschafft, und zwar genau auf die Art und Weise, Autoren es vorgesehen haben. Keine Entscheidungsbäume, kein abweichendes Endergebnis, kein verlorener Kampf, kein wichtiger NSC, der entgegen der Planung stirbt. Denn wenn das geschähe, hätte man wieder einen Butterfly Effect mit verschiedenen Realitätssträngen. Daher darf es nur einen Ausgang geben. Das entwertet aber die Spielerentscheidungen. Die SC sind keine Protagonisten mehr, ja noch nicht mal einfache Akteure, da sie eigentlich nicht agieren. Insofern ist es fraglich, ob ein Metaplotabenteuer eigentlich die Bezeichnung "Abenteuer" verdient - Die Settingbeschreibung eines Supplements wird durch ein solches "Abenteuer" zwar erlebbar gemacht, aber ohne den Spielern die Gestaltungsmöglichkeiten zu geben, die eigentlich ein Abenteuer ausmachen.
Wie kann ich als "Weltenbastler" diese Riffe umschiffen? - Möglichkeit 1: Den Metaplot weglassen.
Seit 20 Jahren und nunmehr drei bzw. vier Editionen beginnen die Spieler auf Hârnworld im Jahre 720 TR. Für dieses Jahr gibt es Plothooks en masse, Intriganten, labile politische Verhältnisse, gefährdete Königreiche, heimliche Kulte etc. ? genug Material, um von da an die eigene Kampagne spielen zu können. Neue Quellenbücher gehen in die Breite (andere Gebiete, gleiches Jahr), und sind keine Neuauflagen von Bekanntem mit ein paar Ingame-Jährchen mehr. Massen an Details (vielleicht sogar zu viele und zu wenig Rollenspielrelevantes) ? aber nichts ist veraltet, obwohl schon seit 1983 publiziert wird. In dieser(!) Hinsicht ist das Setting beispielhaft!
- Möglichkeit 2: Die SC ins Zentrum des Metaplots stellen.
Diese Möglichkeit setzt voraus, dass der Spielleiter den Hintergrund explizit für seine Runde entwirft. Dann, und nur dann, kann man die genannten Gefahren umschiffen und den Metaplot zu einem herausragenden Ereignis werden lassen: Indem man ihn auf die Spieler zuschneidet und ergebnisoffen lässt. Dazu muss der Spielleiter akzeptieren, dass die Zukunft seines Settings nicht allein von seiner eigenen Kreativität, sondern von jener der ganzen Gruppe (und vielleicht einigen Würfelwürfen) abhängt. Den eigenen Hintergrund dem Spiel unterordnen - das ist ein schmerzhafter Schritt für die meisten SLs, aber er lohnt sich. Wenn die SCs Könige, Oberpriester, Drachenreiter und für alle späteren Zeitalter zu Legenden werden, wenn die SCs nicht nur einen Dungeon, sondern eine ganze Welt - ob gut oder schlecht - erschüttert haben, dann hat man als Weltenbauer seiner Pflicht Genüge getan. Tertium non datur! Es grüßt Grimnir Ach ja: Es gibt Gummipunkte! Und zwar für den, der errät, woher der Titel kommt.
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